Der Bau einer Orgel – dem größten und kompliziertesten Musikinstrument – fordert einen großen Aufwand an Material, Handwerkskunst, Zeit und Geld. Von der Planung und Konstruktion bis zur Fertigstellung
einer Pfeifenorgel vergehen nicht selten Jahre und dabei werden die verschiedensten Gewerke beschäftigt. Nachfolgend wird der Werdegang einer Orgel in vereinfachter Form aber dafür mit vielen Fotos dargestellt (die Großansicht der Fotos ist nur im Abonnentenbereich der Orgelseite verfügbar). Mein herzlicher Dank geht an die Berliner Orgelbauwerkstatt Karl Schuke für ihre Unterstützung bei der inhaltlichen Gestaltung dieser Seite und die Zurverfügungstellung vieler Fotos. |
1. Vorplanung und Konstruktion |
2. Materialbestellung |
3. Orgelbau |
Ist das benötigte Material eingetroffen, gehen in der Werkstatt die verschiedenen "Abteilungen" an die Arbeit. Parallel zueinander werden folgende Arbeiten ausgeführt: Pfeifenbau, Windladenbau, Balganlagen- und Windkanalbau, Traktur- und Spieltischbau, Gehäusebau, sowie bei größeren Orgeln die Planung und Programmierung der Setzeranlage. |
3.1. Pfeifenbau |
Man unterscheidet zwei Arten von Orgelpfeifen, die ganz unterschiedlich konstruiert sind: Labialpfeifen und Zungenpfeifen
(siehe Pfeifenarten). Als Material für die Pfeifen (bei Zungenpfeifen für den Becher) kann Metall oder Holz verwendet werden. Entsprechend des zu erzielenden Klanges erfolgt die Wahl des Materials, der Bauform und der Mensuration (d.h. der Weite). Jedes Register (d.h. jede Klangfarbe) hat eine spezielle Bauform. Da der Pfeifenbau sehr aufwändig und teuer ist und besondere handwerkliche Fähigkeiten verlangt, verzichten viele Orgelbaufirmen inzwischen auf eine eigene Pfeifenwerkstatt und kaufen vorgefertigte oder von Spezialunternehmen nach ihren Vorgaben hergestellte Pfeifen. Die Meinungen, ob und inwieweit hierbei Individualität und Qualität verloren gehen, sind geteilt. Jedenfalls kann es nicht schaden, wenn der Bau einer Orgel mitsamt Pfeifen komplett in einer Hand liegt :-) |
Der Werdegang einer Labialpfeife beginnt bei der Wahl der Metall-Legierung. Die meisten Pfeifen werden aus einer Zinn-Blei-Legierung hergestellt. Je höher der
Zinnanteil, desto härter und silberner bzw. glänzender (und teurer) sind die Pfeifen. Übliche Mischungsverhältnisse sind 75-80% Zinn für Prospektpfeifen (also Pfeifen, die im Orgelgehäuse sichtbar vorne
stehen) und 30-75% für Pfeifen, die im Inneren unsichtbar stehen. Die Wahl der Legierung kann aber auch vom zu erzielenden Klang abhängig sein. Der Metallpfeifenbau beginnt mit dem Schmelzen der Zinn- und Bleibarren zur jeweiligen Legierung in einem großen Kessel bei Temperaturen von bis zu 350°C. Dann wird das geschmolzene Metall in den Gießschlitten gegossen, der daraufhin über eine Gießbank geschoben wird. Dabei tritt aus dem hinteren Schlitz des Schlittens die flüssige Legierung aus und verteilt sich gleichmäßig über die Fläche. |
Schmelzen der Metall-Legierung | Befüllen des Gießschlittens | Schieben über die Gießbank | Die Zinnplatte nach dem Erkalten |
Nach dem Erkalten wird die fertige Metallplatte auf eine große Trommel aufgezogen und auf die entsprechend gewünschte Stärke abgedreht oder auf einer
horizontalen Hobelbank abgezogen. Nach dem Hobeln ruhen die Metallplatten noch längere Zeit, damit sich das Material entspannt. Dann können sie für die
herzustellenden Pfeifen zugeschnitten werden. Im Zuschnitt auf dem Schneidetisch werden sowohl der zylindrische Pfeifenkörper als auch der konische Pfeifenfuß aus der Metallplatte ausgeschnitten. |
Abdrehen der Zinnplatte auf einer Trommel | Ausrollen der Zinnplatte am Schneidetisch | Ausschneiden der Pfeifenteile | Zuschnitt an der Schneidemaschine |
Es folgt die nächste Bearbeitungsstufe: Das Aufrunden. Dabei werden zunächst die Metallplatten über Zylinder bzw. Kegel verschiedener Durchmesser gebogen, so dass sich unterschiedlich stark gebogene längs offene Zylinder für die Pfeifenkörper bzw. Kegel für die Pfeifenfüße ergeben (schließlich sollen daraus Pfeifen verschiedener Durchmesser – "Mensuren" genannt – werden). Dann werden die Pfeifen-Rohkörper mit einer Schutzfarbe angestrichen, an der offenen Längskante gefast und zugelötet. Danach werden die Pfeifen und Füße über Metallzylindern und Kegeln mit einem Klopfholz ausgerundet. |
Im nächsten Schritt erfolgt die Labierung. Das Labium ist eine "Delle" ober- und unterhalb des Aufschnitts, hinter dem wiederum der Kern liegt (Skizze (siehe Pfeifenarten). Später tritt aus dem Kernspalt die Luft aus, trifft auf das Labium und erzeugt so eine Schwingung, die durch die Länge des Pfeifenkörpers bestimmt wird. Die Maße der Labien, des Kerns, der Kernspalte und des Aufschnitts bestimmen größtenteils den späteren Klang der Pfeife. |
Ausformen des Unterlabiums | Ausformen des Oberlabiums | Ausformen des Oberlabiums | Anstrich mit Schutzfarbe |
Danach werden die Pfeifenrohlinge mit einer Schutzfarbe angestrichen. Zur Herstellung der Kerne werden zunächst Metallplatten abgehobelt, aus denen dann die Kerne ausgeschnitten werden. Wenn diese zugeschnitten sind, werden sie an den Pfeifenfuß aufgelötet, geglättet und mit dem Pfeifenkörper verlötet. Im vorletzten Arbeitsgang wird der Aufschnitt (der Spalt über dem Kern) ausgeschnitten. Zum Schluss werden die Pfeifen noch gereinigt und ggf. poliert. |
Zungenpfeifen funktionieren prinzipiell anders als Labialpfeifen. Die Kernstücke sind die Zunge und die Kehle.
Durch Anblasen wird die Metallzunge in Schwingungen versetzt und der Ton durch den passenden Schallbecher, der als Resonanzkörper dient, verstärkt. Das Foto links zeigt die Bearbeitung einer solchen Zunge. Der Schallbecher kann aus Metall oder Holz gefertigt sein und die verschiedensten Bauformen aufweisen. Dementsprechend ändern sich Klangfarbe und Klangstärke (siehe Pfeifenarten). |
3.2. Windladenbau |
Eine Windlade ist im Prinzip ein Holzkasten mit Unterteilung in einzelne Kanzellen, auf denen später die Pfeifen stehen. So wird die Luft genau
zu der Pfeife geführt, die den zur am Spieltisch gedrückten Taste entsprechenden Ton erzeugt (siehe Funktionsweise). Im ersten Schritt werden entsprechend der Konstruktionspläne und der Lage der Pfeifenreihen die Windladen gebaut. Es entsteht ein Rahmen, der mit den einzelnen Schieden unterteilt und mit einer Ventil- und Fundamentplatte verleimt wird. Dann werden die Schlitze für die Ventile gefräst. Nach dem Drehen der Lade werden die Schleifen und die Unterstöcke auf dem Fundamentbrett aufgeschraubt. Nun werden der Unterstock (Stocksohlen), die Schleifen und das Fundamentbrett gemeinsam gebohrt, damit später alle Bohrungen beim Ziehen der Schleifen übereinstimmen. Die Schleifen werden später von Dämmen geführt (siehe Skizze Schleiflade im Schnitt). Nach Pfeifenaufriss werden nun die Oberstöcke mit den Stocksohlen gemeinsam gebohrt und die Bohrungen – falls nötig – verführt. Nach dem Bohren werden die Stöcke verleimt und die oberen Bohrungen gekesselt und gebrannt, damit bestimmte Holzinhaltsstoffe später nicht die Pfeifenfüße "anfressen". Wenn die Windlade fertig gebaut ist und mit allen Ventilen, Schleifen, Führungsstiften und der Balgsteuerung garniert ist, werden noch Pfeifenanhängungen auf die Lade gebaut, die später die Pfeifen daran hindern, umzufallen. Das Foto rechts zeigt den ersten Schritt: Die Planung der Pfeifenstellung auf der Windlade und das Anzeichnen der Bohrungen und Fräsungen. |
Auf die Rohbau-Windlade aufgeleimter Fräsplan | Fräsen der Ventilschlitze | Fertige Windlade von oben | Unterseite mit Ventilen und Trakturabgängen | Funktionstest der Lade |
3.3. Balganlagen- und Windkanalbau |
Die Luftzufuhr einer Orgel kommt von einem Gebläsemotor, der Luft ansaugt und über eine Balganlage durch die Windkanäle zu den Windladen, auf denen die Pfeifen stehen, transportiert. Die Bälge dienen dazu, einen konstanten Winddruck zu erzeugen, unabhängig davon, wieviele Register gezogen oder wieviele Tasten gedrückt werden, d.h. wieviel Luft benötigt wird. Dazu müssen die Bälge "atmen" und Luft speichern können. Für Bälge gibt es verschiedene Bauformen: Es gibt Schwimmer-, Kasten-, Keil- sowie Doppelkeilbälge. |
3.4. Traktur- und Spieltischbau |
Herstellung der Trakturleisten | Zuschnitt der Leisten | Verleimen der Leisten mit Haltern | Verleimen | Tasten mit Trakturabgängen |
Pneumatische Traktur (um die Jahrhundertwende 19. / 20. Jahrhundert üblich) |
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Trakturabgänge vom Spieltisch | Trakturführung in einer großen Orgel | Setzer-Kombinationselektrik | Setzerkombinations-Speicher |
Die meisten Orgeln werden heute mit mechanischer Spieltraktur (= Verbindung von den Tasten zu den Pfeifenventilen) und elektrischem Registrierwerk (= Verbindung von den Registerknöpfen / -wippen zu den Registerzügen) ausgestattet. Dies verbindet die Vorteile eines sensiblen Spiels (Mechanik) mit der Möglichkeit, tausende von Register-Kombinationen (Klangmischungen) zu speichern und die Orgel auf Knopfdruck komplett umzuregistrieren. Das „Ziehen” von Registern übernimmt dann ein Elektromagnet. Diese Kombinationsspeicher werden Setzer genannt und müssen zunächst vorprogrammiert, d.h. auf die jeweilige Orgel und Disposition (= Zusammenstellung der Register / Pfeifenreihen) angepasst werden. |
3.5. Gehäusebau |
4. Werkstattaufbau |
5. Vorintonation |
6. Verladen und Transport |
7. Aufbau vor Ort |
Nun gilt es, die Orgel ebenso wie beim Werkstattaufbau am endgültigen Ort zusammenzubauen. Nicht selten wird dafür in den ersten Tagen oder Wochen die gesamte Kirche
in Beschlag genommen, da die zigtausend Einzelteile zunächst ausgeladen und verstaut werden müssen, bevor sie dann Stück für Stück zusammengesetzt werden. Die Bilderserie zeigt den Aufbau der neuen Schuke-Orgel im restaurierten historischen Gehäuse der Johanniskirche in Frankfurt-Bornheim: |
Ausladen der einzelnen Orgelteile | Lagerung der Orgelteile in der Kirche |
Vorbereiten des Bodens | Bauteile auf die Empore heben | Gehäuse-Unterbau | Eingebautes Wellenbrett |
Wellenbrett mit Abstrakten (Traktur) | Gehäusestabilisierung durch Verstrebungen | Braucht die Orgel Platz, muss der Stuck weichen | Aufbau des Gehäuses |
Bau der oberen Gehäuse-Etage | Geschnitztes Schleierbrett | Hochhieven des Spieltischs auf die Empore | Eingebauter Spieltisch | Einsetzen der Prospektpfeifen |
8. Intonation und Generalstimmung |
Wenn der technische Aufbau abgeschlossen ist und alles richtig funktioniert, ist wieder der Intonateur gefordert, der – wie schon bei der Vorintonation in der Werkstatt –
den Klang jeder Pfeife im Zusammenhang mit den anderen Pfeifen und Registern sowie der Raumakustik anpasst. Der Intonateur entscheidet in hohem Maße über die klangliche
Qualität der neuen Orgel. Nach der bzw. gemeinsam mit der Intonation erfolgt auch die endgültige Stimmung. Diese Arbeiten dauern je nach Größe des Instruments (von wenigen hundert bis zu vielen tausend Pfeifen) wenige Wochen bis mehrere Monate. Das Foto links zeigt die fertige Orgel der Johanniskirche in Frankfurt-Bornheim. Alles in allem beinhaltet diese noch relativ kleine Orgel mehr als 30.000 Einzelteile, davon etwa 2.000 Pfeifen. |
9. Sachverständigen-Abnahme |
Ich hoffe, es wurde etwas deutlich davon, wie viel Aufwand, harte Arbeit, handwerkliches Können und Individualität hinter dem Bau einer Pfeifenorgel steht. Vielleicht ist nun auch besser verständlich, wie die hohen Preise für Pfeifenorgeln zustandekommen... |
Eine ebenfalls sehr sehenswerte Dokumentation über den Bau der Orgel der Marienkirche in Gelnhausen hat Jörg Schellschmidt auf seiner Website zusammengestellt. |